Kennst du diese Tage, in die du irgendwie hineinstolperst? Oder hineingestoßen oder hineingezogen wirst? Tage, an denen du irgendwann feststellst, dass es schon fast Mittag ist und du noch nicht so wirklich angekommen bist. Weder im Tag, noch bei dir.
So ein Tag war dieser 12.Oktober.
Schon beim Aufwachen kam ich nicht so richtig an. Ich hing noch in einem intensiven Traum fest, an den ich mich gleichzeitig nicht so richtig erinnern konnte. Und während ich da noch festhing, wurde ich schon von einem Kind gerufen und in den Tag hineingezogen.
Dieses Kind hatte Frühstückshunger. Jetzt sofort. Und große Lust auf Bananenmilch. Ganz schnell. Ein zweites Kind wollte duschen. Mit Haare waschen. Und brauchte Hilfe. Ein drittes Kind wollte länger liegen bleiben und seine Ruhe. Aber auf jedenfall auch was von der Bananenmilch. Und mein Mann war schlapp und erkältungskrank.
Also ging ich hin und her. Von der Küche zum Bad und wieder zurück. Fand reife Bananen und schmiss sie in den Mixer. Seifte Haare ein. Deckte den Tisch. Stieg die Treppen hoch zu einem rufenden Kind. Spülte Haare aus. Hörte zu und antwortete. Fragte nach, was es noch für Hausaufgaben gab und welche Klassenarbeiten geschrieben werden sollen. Räumte den Tisch frei für die Schulsachen. Sagte “nein jetzt nicht” zum Wunsch nach Zocken. Und half einen Überblick zu verschaffen, was getan werden musste. Half bei den Hausaufgaben und beim Sortieren von Schulmaterialien. Und begleitete Schul-Frust und Tränen.
Und vergaß ganz zwischendurch mal durchzuatmen.
Bild 1: Bananenmilch-Wunsch am Morgen. Zum Glück sind reife Bananen da.
Bild 2: Das eine Kind übt Schreibschrift…
Bild 3: …das zweite übt Mathe…
Bild 4: …und das dritte ordnet das Schreibtisch-Chaos.
Irgendwann sind bei allen die Kapazitäten ausgebraucht. Zum Üben und Schreiben und Rechnen und Frust aushalten und geduldig sein und begleiten. Und mir wird endlich bewusst, dass ich noch nicht einmal durchgeatmet habe an diesem Tag. Dass ich von einem ins andere gestolpert bin und jetzt dringend Zeit brauche um anzukommen. Bei mir und in diesem Tag.
Zwei Kinder gehen mit mir raus in die Sonne und wir gehen zuerst eine Runde um die Siedlung und danach in unseren Hof. Das dritte Kind trifft sich mit Freunden beim Zocken. Zuerst brauchen die draußen-Kinder noch Zuwendung und Aufmerksamkeit. Aber dann können sie es hören und akzeptieren, dass ich jetzt einen Moment nur für mich brauche. Einen Moment in dem niemand mit mir spricht und mich niemand berührt.
Bild 5: Mini-Sonnen-Spaziergang
Bild 6: Und dann -endlich- ein Moment zum Durchatmen und Ankommen.
Dieser kleine Verbindungszeit hat mir gut getan. Ich konnte die Anspannung, die mich den Vormittag begleitet hatte loslassen. Und war wieder mehr bei mir. In meiner Mitte und Ruhe. Und bereit für das Mittagessen und die zweite Hälfte des Tages. Viel bereiter, wie ich für die erste Hälfte war.
Nach dem Mittagessen gehen die Kinder in ihre Zimmer für eine Mittagspause. Und ich setzte mich nochmal nach draußen. Mit Kaffee und Losungsbuch. Und trinke einen “Kaffee mit Gott”. Das bedeutet, ich bete und erzähle ihm, wie es mir geht. Lese die Verse aus der Bibel, die in dem Buch stehen. Mache mir ein paar Gedanken dazu. Und höre auf sein Flüstern in meinem Herzen.
Bild 7: Kaffee mit Gott
Am Nachmittag gehe ich mit meiner Tochter und ihrer Freundin ins Kino. Und hey – wie schön ist das denn, wenn sowas wieder möglich ist! Die zwei Jungs nehmen wir mit in die Stadt, die wollen dort zusammen ein Eis essen. Meinen Mann lassen wir zuhause im Bett, damit er sich auskurieren kann. Und dieser Rollentausch ist so krass für mich. Eine so so lange Zeit hat mein Mann immer wieder die Kinder geschnappt, um irgendetwas mit ihnen zu unternehmen, damit ich zuhause im Bett sein kann, um mich auszuruhen. Und jetzt darf ich diejenige sein, die etwas mit den Kindern erlebt. Und ich darf diejenige sein, die den anderen, der krank zu Hause ist, genügend Ruhe zu ermöglichen. (Und gleichzeitig bin ich dankbar, dass mein Mann nur eine Erkältung hat, die auch schnell wieder vorüber sein wird.)
In Backnang, dem kleinen Städtchen mit Kino und Eisdiele in der Nähe unseres Dorfes, ist Baustelle und Umleitung und viel Verkehr. Und mein Blick auf die Uhr sagt mir, dass die Zeit bis zum Kino immer knapper wird. Ein Parkplatz in der Nähe ist auch nicht zu finden. Also lasse ich die Mädels irgendwann aus dem Auto hüpfen, mit Geld in der Hand, damit sie schonmal die Kino-Karten und Popcorn kaufen können, bis ich nachkomme. Irgendwann ist dann doch ein Parkplatz gefunden, ich verabschiede mich von den Jungs und renne los in Richtung Kino. Ich renne. Und lache. Rennen zu können ist so toll. Echt. Und nach ein paar Metern merke ich, dass Rennen auch echt anstrengend ist und meine Kondition noch nicht so wirklich groß ist. Also gehe ich ein paar Meter so schnell ich kann, renne wieder ein paar Schritte und gehe schnell weiter, bis ich völlig außer Puste beim Kino ankomme. Die Mädels erwarten mich schon mit Karten und Popcorn und wie kommen gerade so noch rechtzeitig im schon dunklen Kino-Saal an. Und ich genieße es so sehr, hier neben meiner Tochter zu sitzen und den Film zu genießen.
Auf dem Heimweg halten wie noch bei einer Tankstelle an. Und während ich da stehe und warte, bis genügend Sprit in mein Auto geflossen ist, kommen mir die Tränen. Es sind immer wieder diese profanen Alltagmomente, in denen mir das passiert. Dass meine Gefühle hinterher kommen, hinter dem, was jetzt alles wieder möglich ist, und mich für einen Moment überwältigen. Ich weiß nicht mehr, wann ich das letzte Mal tanken war. Aber es ist sehr lange her. Und jetzt stehe ich hier. Einfach so. Und ich gehe nach drinnen, stehe an der Kasse, gehe wieder nach draußen, steige in mein Auto und fahre los. Einfach so. Mühelos ohne Anstrengung. Und das zu können ist so kostbar. Wie kostbar das ist, wurde mir erst durch die lange, lange Zeit der Krankheit bewusst.
Zuhause angekommen bekomme ich eine Nachricht in der Lebensmittel-Retter-Whats-App-Gruppe, dass die Verteil-Station für gerettete Lebensmittel frisch gefüllt ist. Gerettet werden hier Lebensmittel, die von Supermärkten sonst weggeworfen werden. Und alle die Interesse haben, dürfen in dieser Gruppe sein. Also fahre ich nochmal los. Weil noch immer Kraft und Energie übrig ist. Heute stehen kistenweise Brötchen und andere Backwaren da. Und einiges an Salat und Gemüse.
Und nach diesem Nachmittag ist mein Herz erfüllt von Dankbarkeit, Glück und Freude,
Bild 8: Freude beim Kinobesuch mit meiner Tochter und ihrer Freundin.
Bild 9: Freudentränen an der Tankstelle.
Bild 10: So viele Lebensmittel zum Retten.
Bild 11: gerettetes Abendessen
Am Abend setze ich mich vor den Kamin, denke an meinen Tag, schaue die Bilder an und staune. Mein Leben hat sich so extrem verändert. So viel, wie ich jetzt an manchem Tag erlebe, habe ich vor dem Sommer manchmal in einem ganzen Monat nicht erleben dürfen. Ich bin dankbar für das fotografieren und dokumentieren. Heute und auch in den letzten Monaten immer wieder am 12. Denn kaum etwas anderes führt mir so sehr vor Augen, was sich in meinem Leben erst durch das krank-Werden und dann durch die Heilung verändern durfte. Meinen Dank des Tages bringe ich noch Gott, der mir dieses große Wunder und mein neuen Leben geschenkt hat.
Bild 12: Dankbarkeit vor dem Kamin
Danke, dass du durch dein Lesen ein wenig Anteil genommen hast an meinem Tag, an meinem Leben und dadurch auch an meinem Wunder. Ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass auch du Wunder erleben darfst in deinem Leben. Und dass du sie erkennen darfst. Egal wie groß oder klein sie sind.
Herzliche Grüße, Judith
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Schon sehr beeindruckend das Engagement der Lebensmittelretter. Dankbarkeit – ein wichtiges Thema – anscheinend für viele, so mein Eindruck.
Ja. Ich finde das Lebensmittel-retten-Engagement auch toll. Und es ist manchmal echt erschreckend, was da eigentlich alles weggeworfen werden sollte…
Liebe Judith,
wie anstrengend sich das liest – und was für eine wahnsinnige Veränderung Du immer noch durchmachst. Das ist so toll zu lesen! Danke fürs Mitnehmen durch Deinen Tag.
Ganz liebe Grüße
Carina
Liebe Carina, danke für deine Worte. Und ja. Die Veränderung ist riesengroß und so schnell. Und manchmal komme ich kaum hinterher. Und dann wieder genieße ich es sehr.
Herzliche Grüße, Judith