Denn heute ist Muttertag. Und weltweiter Awareness-Tag für ME/CFS. Ein Tag, der mithelfen soll, dass diese Erkrankung mehr Beachtung bekommt.
Seit 12 Jahren bin ich Mutter. Und seit zweieinhalb Jahren habe ich ME/CFS. Eine Erkrankung, die so wenig bekannt und kaum erforscht ist, obwohl es so viele Betroffene gibt. Bei mir wurde sie ausgelöst durch die C-Impfung. Häufige andere Auslöser sind Infektionen.
Ich möchte die Kombination aus Muttertag und diesem Awareness-Tag dazu nutzen zu zeigen, was es für mich bedeutet Mutter zu sein mit ME/CFS und wie ein Familientag bei uns aussehen kann.
Und auch wenn es mir heute an mehreren Punkten nicht leicht fällt, schreibe ich weiter. Und lade ich dich ein, dich mit hinein nehmen zu lassen in diesen Sonntag im Mai und meinen Gedanken zu diesem Tag.
Wie fast an jedem Morgen wache ich durch das Leben und den Trubel, der schon im Haus ist auf.
Ich bin dankbar, dass mich meine Familie bis jetzt hat schlafen lassen und freue mich über meinen Jüngsten, der zu mir ins Bett kommt und direkt beginnt mir etwas zu erzählen.
“Oh, heute ist ja Muttertag!” ruft er dann und rennt weg, um eine Karte zu holen, die er in der Schule für mich und seinen Papa gemalt und geschrieben hat.
Stolz erzählt er mir, dass er alles alleine gemacht hat und dass er schon richtig gut schreiben kann.
Nach und nach kommen alle zu mir. Die Kinder, um mir ihre selbstgemachten Muttertags-Geschenke zu bringen, mein Mann, um zu sagen, dass das Frühstück fertig ist.
Und nein, dass das Frühstück gemacht wird und ich mich einfach an den gedeckten Tisch setzen darf, das ist kein Muttertagsgeschenk, sondern ein Geschenk, dass ich jeden Morgen bekomme, seit ich krank bin.
Ich stehe auf mit Schmerzen und Müdigkeit im Körper. Mit Schwindel und Schwäche. Und gleichzeitig mit Dankbarkeit für das, was ich habe.
Bild 1: Frühstück auf unserem Sonnenbalkon.
Bild 2: Eine Handvoll Kapseln zu jeder Mahlzeit gehört zu meinem Alltag mit chronischer Erkrankung dazu.
Bild 3: reich beschenkt
Am Muttertag ist in unserer Kirchengemeinde immer ein Bläsergottesdienst mit anschließendem Mittagessen. Wir haben entschieden, dass mein Mann und meine Kinder ohne mich dort hingehen. Heute bin ich zu schwach für viele Menschen und langes Sitzen.
Irgendwie haben wir uns alle schon daran gewöhnt, dass ich so oft zuhause bleibe. Es wurde zu unserer neuen Normalität. Und vielleicht hilft genau das uns allen, es an den meisten Tagen zu akzeptieren, dass es so ist.
Kurz vor dem Losgehen gibt es Streit. Ein Kind braucht mich und meinen Trost, den ich so gut es mir möglich ist gebe. Wir sitzen auf dem Sofa, das Kind in meinem Arm, so lange, bis es wieder gut ist.
Irgendwann kehrt Ruhe ein. Meine Familie hat das Haus verlassen und ich bleibe noch für einen Moment sitzen. Der Morgen hat viel Energie verbraucht und ich bin dankbar für die Ruhe und die Zeit für mich, die vor mir liegt.
Und gleichzeitig wünsche ich mir so sehr, dass es irgendwann wieder Normalität werden kann, dass ich mitgehe, wenn meine Familie das Haus verlässt.
Ich nehme mir Zeit für eine Dusche. In der Dusche steht ein Duschhocker, da langes Stehen im Moment zu anstrengend ist. Ich atme im Sitzen langsam den warmen Duft ein.
Und unter der Dusche lösen sich die Tränen, die heute schon seit dem Aufwachen irgendwo in mir stecken.
Tränen der Traurigkeit, der Enttäuschung, der Müdigkeit und der Sehnsucht.
Die Tränen tun mir gut. Sie lösen etwas in mir. Bringen Erleichterung.
Bild 4: Gedanken und Gefühle können bei mir besonders gut unter der Dusche fließen.
Danach freue ich mich auf meinen Liegestuhl im Garten.
Ich nehme mir Zeit zum Schreiben und Beten und Lesen. Zeit, um einfach dazusitzen. Und Zeit um ein paar Gedanken auf Instagram zu teilen. Über Mama-sein mit ME/CFS.
Bild 5: schreibend Beten
Bild 6: Dankbar für meinen Liegestuhl im Garten.
Während ich da auf meinem Liegestuhl im Garten bin, kommt meine Familie irgendwann zurück. Mit Gesprächen und Fragen und Lebendigkeit. Schön und anstrengend zugleich.
Die Kinder wollen die Sendung mit der Maus nachschauen. Mein Mann setzt sich zu ihnen. Ich bleibe lieber im Garten. Nehme mir meine Kopfhörer und mache eine geführte Entspannungsübung. Tanke so noch ein wenig auf, um danach etwas Energie für meine Familie zu haben.
Bild 7: Auftanken
Etwas später helfen zwei meiner Kinder mir unser Beet zu bepflanzen. Nein, eigentlich pflanzen nur sie. Ich sitze daneben in der Wiese, zeige wo sie Löcher graben und pflanzen sollen, nehme ein wenig Erde in die Hände und rieche den Duft der Kräuter.
Gestern war ich in einer Gärtnerei, mit Unterstützung meines Ältesten, um Kräuter und Salatpflänzchen, Tomaten- und Gurkenpflanzen zu kaufen.
Ich bin dankbar, dass meine Kraft dafür gestern gereicht hat. Heute reicht die Kraft, um dabei zu sein, wenn andere sie in die Erde setzen.
Bild 8: Der Anblick und der Duft der Pflanzen ist so herrlich.
Bild 9: kleine Gärtner
Meine Tochter stützt mich auf dem kurzen Weg vom Beet zurück zur Liege, wo ich den Rest des nachmittags verbringe.
Sie merkt sofort, wenn meine Beine mal wieder zu schwach sind, oder der Schwindel zu stark ist und bietet mir sofort ihre Hilfe an.
Und dort verbringe ich die nächsten Stunden, schreibe ein wenig diesen Artikel und schaue den Wolken zu.
Mein Mann muss zu einem kurzen Feuerwehreinsatz, ein Kind trifft sich mit Freunden, zwei andere gehen zu den Großeltern ins Baumstück, wo wir uns später zum Abendessen treffen wollen.
Ich liege, ruhe aus und atme, um dafür genügend Kraft zu sammeln, damit ich dabei sein kann.
“Pacing” nennt sich das. Und ist mit das Wichtigste, was man lernen darf, wenn man ME/CFS bekommt.
Bild 10: So oft besteht der Großteil meines Tages aus Ausruhen. Heute freue ich mich, dass es im Garten möglich ist.
Am frühen Abend fahren auch mein Mann, unser Ältester und ich zum Baumstück meiner Schwiegereltern. Vor meiner Erkrankung wären wir hinspaziert. Jetzt bin ich dankbar für unser Auto.
Dort treffen wir unsere zwei Kinder, meine Schwiegereltern und meine Schwägerin. Kurz darauf kommt noch mein Schwager und seine Familie dazu.
Zwischen den Bäumen und Blumen und Wiesen ist es wunderschön. Ich genieße es dort zu sein, auch wenn ich merke, dass ich heute eigentlich zu schwach bin für Menschen um mich herum.
Gleichzeitigkeit. Wie so oft.
Ich tanke auf durch die Schönheit der Natur und freue mich, dass ich mit meiner Familie zusammensein kann. Und merke gleichzeitig, wie sehr es mich anstrengt und die Symptome stärker werden.
Bild 11: im Baumstück
Irgendwann merke ich, dass meine Kraft immer mehr nachlässt. Die Fatigue in mir überhand nimmt. Und ich dringend nach Hause muss.
Ich brauche Hilfe für die kurze Strecke bis zum Auto. Brauche nach ein paar Schritte eine Pause. Und es fällt mir nicht leicht, dass dabei mehrere Menschen zuschauen.
Die Frage, ob die Entscheidung dabei zu sein ein Fehler war, steigt in mir hoch.
Meine Kinder sind für mich da. Halten die Schwäche mit mir aus und unterstützen mich. Sie wissen oft so viel besser als die Erwachsenen, was ich brauche, wie sie mir helfen können, was für mich möglich ist und was nicht. Können oft so viel besser mit all dem und mit mir umgehen.
Und auch, wenn ich mir eigentlich wünsche, dass das gar nicht nötig ist, bin ihnen so dankbar und staune immer wieder über sie.
Zuhause lege ich mich direkt aufs Sofa und schließe ein paar Minuten die Augen. Dankbar merke ich, dass sich die ganz heftigen Symptome durch das Liegen und die Ruhe etwas beruhigen.
Mein Mann unterstützt die Kinder bei all den vielen kleinen Dingen, die vor dem Schlafen gehen noch wichtig sind. Und kurz danach lege ich mich zu meinem Jüngsten ins Bett, höre ihm noch ein wenig zu, bete mit ihm und sage ihm, wie lieb ich ihn habe.
Er schläft langsam neben mir ein und ich liege neben ihm, höre ihm beim Atmen zu und spüre in mich hinein.
Ich spüre Müdigkeit, Unruhe und Zufriedenheit, Dankbarkeit, Traurigkeit und Sehnsucht. Und was widersprüchlich klingt, darf einfach alles nebeneinander sein. Das Leben ist nicht nur schwarz und weiß. Sondern facettenreich und bunt.
Ich gehe zu meiner Tochter, um sie daran zu erinnern das Licht auszumachen. Bete mit ihr, segne sie und küsse ihre Stirn. Sage ihr danke, für all das, was sie heute für mich getan hat und dafür dass sie sieht, wenn es mir nicht gut geht und ich Hilfe brauche. “Das machst du doch genau so bei mir, Mama”, antwortet sie. Wir lächeln uns an und dann nehmen wir uns noch ein bisschen in den Arm.
Mein Mann ist nochmal mit unserem Ältesten unterwegs im Dorf. Und ich lege mich in die Abendluft im Garten auf meinen Liegestuhl. Auf meinen Beinen liegt das Buch, in dem ich jeden Abend notiere, für was ich dankbar bin.
Und trotz der Schwäche, die mich heute so sehr begleitet hat und trotz der Sorge, dass der Ausflug am Abend zu viel war, gibt es vieles, wofür ich dankbar bin.
Bild 12: Immer wieder hilft es mir, mich bewusst für Dankbarkeit zu entscheiden und meinen Blick auf das zu richten, was gut ist.
Ich atme noch ein wenig die Atemluft ein, höre Hundegebell und letzte Vogelstimmen, begrüße einen Kater, der nach Hause kommt.
Ich spüre die Schwäche und Erschöpfung als Folge des kurzen Ausflugs in meinem ganzen Körper. Und hoffe, dass die Nachwirkungen morgen nicht zu stark sein werden.
Wenn mein Mann mit unserem Sohn nach Hause kommt, werde ich mir noch kurz Zeit mit ihnen nehmen und dann früh ins Bett gehen.
.
Ich danke dir, dass du dich hast mit hineinnehmen lassen in meinen Tag. Und mit hinein in das, was es heute für mich bedeutet hat, von ME/CFS betroffen zu sein.
Nicht jeder Tag ist gleich. Symptome kommen und gehen. Es gibt Tage, an denen geht es mir viel besser als heute und Tage, an denen geht es mir sehr viel schlechter.
Und anderen Betroffenen kann es ganz anders gehen. Viele sind deutlich stärker betroffen als ich, müssen dauerhaft das Bett hüten und werden gepflegt.
Wir alle brauchen es, dass wir gesehen werden. Wir brauchen es, dass unsere Erkrankung gesehen und ernst genommen wird. Wir brauchen Forschung und Hilfe.
Das ist mit ein Grund, warum ich hier immer wieder versuche sichtbar zu machen, was so häufig unsichtbar ist.
Wenn du magst, erzähle mir doch in den Kommentaren, ob du die Erkrankung ME/CFS kennst. Ob du Betroffene kennst, oder vielleicht selbst betroffen bist.
Ich freue mich über Austausch mit dir.
Herzliche Grüße, Judith
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