„Ist es nicht wunderbar, an diesem Tag zu sein? Es ist ein Privileg, erachte es nicht als kein.“ Diese Liedzeile von Samuel Harfst ging mir in den letzten Tagen immer wieder durch den Kopf und fand großen Wiederhall in mir. Wir sind gerade im Familien-Pfingsturlaub auf einem Campingplatz in Südfrankreich direkt am Mittelmeer. Hier sein zu können, am Meer, bei Sonnenschein mit Beinen, die stark und gesund genug sind, dass sie mich tragen können, ist ein großes Privileg. Das ist mir heute sehr viel bewusster, als noch vor ein paar Jahren.
Immer wieder, wenn ich hier über den Campingplatz gehe, wenn ich Schritte im Sand oder in den Wellen mache, wenn ich mit meinen Kinder spiele, oder schwimme, wenn ich für meine Familie koche oder zu einem Kind gehe das mich ruft oder etwas hole, wenn mich jemand darum bittet, erinnere ich mich an unseren letzten Pfingsturlaub und daran, wie schlecht es mir zu diesem Zeitpunkt ging.
Unser Mobilhome konnte ich nur verlassen, wenn meine Familie mich im Rollstuhl schob und auch das war an einigen Tagen nicht möglich und ich verbrachte die Zeit, in der sie am See oder bei einem Ausflug waren alleine im Bett. Ich weiß noch wie schmerzhaft es für mich war, all die Familien zu sehen, bei denen die Kinder an der Hand ihrer Mama gingen, während meine sich dabei abwechselten meinen Rollstuhl zu schieben und immer bereit waren, mir zu helfen bei all dem, was ich nicht selbstständig konnte.
So viel hat sich seither verändert. Und im Erinnern an letztes Jahr nehme ich dieses Wunder noch einmal bewusster war.
Jetzt aber zurück ins Heute und zu unserem 12.Juni 2025. Willkommen in meinem 12von12.
Heute nehme ich es auf den ersten Blick nicht wahr, dass es ein Privileg ist hier zu sein und das der Tag ein Geschenk ist. Der Himmel ist am Morgen grau und bewölkt und ich werde von zwei Kindern begrüßt, die sich beide nicht wohlfühlen. Unser Jüngster hat Husten und einen nervigen Wackelzahn. Unsere Tochter hat die halbe Nacht mit Nase putzen verbracht und ist mit Bauchschmerzen und Übelkeit aufgewacht.
„Hätte nicht gestern der 12.Juni sein können?“ denke ich. „Da hätte ich Bilder von glitzerndem Wasser und leichten Wellen und Sand und Sonnenschein, einem Marktbesuch und Spaß am Pool zeigen können.“ Noch während ich das denke, muss ich über mich lachen und schüttle innerlich ein wenig den Kopf. Das Leben ist wie es ist, es scheint nicht immer die Sonne und es ist nicht immer alles gut. Auch im Urlaub nicht. Und ich möchte das Leben hier so zeigen, wie es ist. Und ich möchte mich und dich daran erinnern, dass jeder Tag ein Geschenk ist.
Eigentlich hätte ich zum Start in den Tag gerne einen Moment Zeit und Ruhe für mich gehabt. Die Bedürfnisse der zwei Kinder wiegen heute Morgen aber mehr. Also nehme ich mir erst für das eine und dann für das andere Zeit und schaue, was ich ihnen Gutes tun kann. (Und bin dankbar, dass einer noch schläft und mich nicht auch noch braucht.)
Danach geht mein Mann mit unserem Jüngsten zum Bäcker auf dem Campingplatz, um frische Croissants und Baguette fürs Frühstück zu holen und ich schneide in der Zeit Obst und decke den Tisch.
Beim Frühstück überlegen wir, was wir mit diesem Tag machen und was zum Wetter und den unfitten Kindern passt. Wir beschließen am Vormittag bei unserem Häuschen zu bleiben und gemeinsam zu spielen. Und am Nachmittag eventuell einen kleinen Ausflug zu machen, wenn es allen gut genug dafür geht.
Vor der Familienzeit brauche ich Alleine-Zeit. Im Urlaub fällt mir das oft schwerer, mir das einzuplanen und zu nehmen wie in meinem Alltag, in dem diese Zeiten mittlerweile fester Bestandteil sind.
Aber ich weiß, dass diese Zeiten auch und gerade im Urlaub, mit intensiver Familienzeit wichtig für mich sind. Deshalb setze ich mich mit Kopfhörern, Kaffee, Bibel und Schreibzeug auf eine Liege zum Beten, Lesen, Schreiben, Kaffee trinken und Atmen.
Danach spielen wir ein Exit-Spiel und rätseln und knobeln gemeinsam. Und werden dabei ganz schön herausgefordert.
Fürs Mittagessen haben wir noch Baguette vom Frühstück und Käse, Salami und Oliven vom gestrigen Marktbesuch. Ich schneide dazu noch Tomaten für einen Salat und ein Kind schneidet Melone.
Nach dem Essen kann ich mir ein wenig Zeit zum Lesen nehmen, während sich mein Mann und unsere Tochter hinlegen und unsere Jungs zum Fußball-Platz gehen.
Kurz darauf rufen sie auf dem Handy an. Unser Jüngster ist mit dem Fuß umgeknickt und kann nicht mehr auftreten. Der große Bruder trägt ihn Huckepack zurück zum Mobilhome und als wir den geschwollenen Knöchel sehen, ist das Programm für den Nachmittag klar und wir erkundigen uns bei der Rezeption des Campingplatzes nach einem Arzt für unseren Sohn.
Die zwei Älteren bleiben zurück, da sich unserer Tochter noch immer nicht wohl fühlt und sich lieber weiter ausruhen möchte.
Der Arztbesuch entwickelt sich zu einer erfolglosen Suche. Am Campingplatz wurde uns ein Ärztehaus in der Nähe empfohlen. Dort werden wir weiter geschickt in die Notaufnahme des nächsten Krankenhauses. Da werden wir mit der Information empfangen, dass sie im Moment mindestens 5-6h Wartezeit haben und sie uns deshalb ein anderes Krankenhaus empfehlen. In diesem Krankenhaus werden wir direkt am Empfang abgelehnt, weil auch sie mindestens 5h Wartezeit haben, aber nur noch 4h geöffnet haben. Ihre Empfehlung, wohin wir gehen sollen, ist das Krankenhaus, aus dem wir gerade kommen.
Wir entscheiden uns gegen eine Wartezeit bis spät in die Nacht hinein und für einen Stopp an einer Apotheke, um uns dort eine Salbe, Verband und Schmerzmedikamente zu besorgen und planen einen eventuellen neuen Arzt-Versuch am nächsten Morgen.
Ich bin dankbar, dass unser kleiner Patient so geduldig ist und die großen Geschwister per WhatsApp melden, dass es auch ihnen trotz allem gut geht.
Zurück auf dem Campingplatz begrüßt meine Tochter mich mit einem Pfirsich in der Hand und zeigt mir die eindeutige Herzform. Seit einiger Zeit „sammeln“ wir Herzen in der Natur, oder Herzen, die irgendwo zufällig entstanden sind als kleine Liebes-Zeichen von Gott. Wie schön, gerade heute dieses kleine Geschenk zu bekommen.
Dann versorgen wir den geschwollenen Knöchel mit Salbe und Kühlpack und Gebet und überlegen, was uns am Abend von diesem etwas herausfordernden Urlaubstag gut tut. Die Kinder wünschen sich Pizza und Film. Mein Mann und ich wünschen uns einen Moment am Meer. Wie gut, dass es der Campingplatz direkt am Meer ist, es ein Restaurant gibt, bei dem man Pizza mitnehmen kann und wir von zuhause alles für einen Filmabend mitgenommen haben.
Wir gehen zu zweit zum Strand, die Kinder bleiben gemeinsam im Mobilhome. Mittlerweile ist die Sonne doch noch rausgekommen und der Wind hat die Wolken des Tages vertrieben. Das Meer ist heute voller stürmischer Wellen und wir werden mit kraftvollem Rauschen begrüßt.
Mein Mann geht zum Schwimmen in die Wellen, ich stelle mich in den nassen Sand, lasse meine Füße vom Meer umspülen und atme tief ein und aus.
Ganz ehrlich? So habe ich mir diesen Urlaubstag nicht vorgestellt. Und es gab Momente, in denen Unzufriedenheit und Frust bei mir anklopften. Aber jetzt, während ich mit beiden Füßen im Wasser stehe, spüre ich neben der Erschöpfung des Tages Dankbarkeit in mir. Dankbarkeit dafür, dass ich hier stehen kann. Müde zwar, aber trotzdem auf meinen eigenen Beinen. Dankbarkeit, dass diese Beine mich wieder tragen, dass ich so viele Schritte an einem Tag machen kann, dass ich Kraft habe, mich so um meine Kinder zu kümmern und für sie da zu sein, wie es heute nötig war. All das wäre vor einem Jahr nicht möglich gewesen. All das hat Gott mir durch ein Wunder (zurück) geschenkt. Und genau darauf möchte ich meinen Blick richten. Immer wieder.
Als wir danach vom Strand zum Restaurant gehen, um Pizza zu bestellen, sehen wir eine Frau im Rollstuhl, die von einem (ihrem?) Mann begleitet wird. Sie steht mühsam auf, um ein paar Schritte zu gehen und stützt sich dabei bei dem Mann und ihrem Rollstuhl ab. Ich kann die Gefühle dieses Momentes kaum beschreiben. Es ist eine Mischung aus alter Trauer, die noch in mir gespeichert ist, großer Dankbarkeit und Freude und Mitgefühl für diese Frau. Mein Blick fällt auf die anderen Menschen, die an uns vorübergehen und ich frage mich, ob sie wissen, was für ein Geschenk es ist, dass ihre Beine sie tragen.
Den Abend verbringen wir mit Pizza und Film und Gemütlichkeit.
Später am Abend denke ich über den weiteren Text des Liedes „Privileg“ nach, das ich schon zu Beginn meines Blogartikels zitiert habe.
„Und der Herr tut auch heute noch Wunder, Stunde um Stunde, Tag für Tag.“
Daran glaube ich und ich durfte es letzten Sommer an meinem eigenen Körper erleben. Und auch wenn wir heute kein Heilungswunder erleben durften (für das wir gemeinsam als Familie gebetet haben), sehe ich die Wunder, die Gott in unsrer Familie tut und die Geschenke, die er jeden Tag für uns hat. Auch heute. Uns geht es gut, trotz allem. Wir sind versorgt. Meine Kinder haben wieder eine gesunde Mama. Und so vieles mehr.
Und diesen Blick für die Geschenke und Wunder in deinem Leben, wünsche ich auch dir.
Herzliche Grüße, Judith
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Liebe Judith,
danke für die Einblicke in einen nicht ganz perfekten Tag. Zum Ende hin hatte ich mal wieder Tränchen im Knopfloch. Für Deinen Sohn und Euch alle gute Besserung und einen Urlaub, der Euch richtig gut tut!
Liebe Grüße
Carina