Ich wache von einem Piepsen auf.
Eine Tür öffnet sich. Ich höre Schritte und leise Stimmen.
Es ist der zweite Morgen, an dem ich im Krankenhaus aufwache. Nicht als Patientin, sondern als Begleitperson meines Kindes.
Ich nehme euch heute also mit in einen Tag, der alles andere als Alltag ist.
Wir wissen nicht wirklich, was uns heute erwartet. Vermutlich an einem Sonntag aber nicht viel. Eine Ärztin wird kurz vorbei schauen. Und für den Nachmittag hat sich Besuch angekündigt.
Was ich auch nicht weiß ist, ob ich etwas zum Frühstück bekomme. Mein Kind ist schon zu groß. Essen für die Begleitperson nicht vorgesehen. Wenn ein Tablett übrig bleibt, wird es mir aber gebracht.
Heute Morgen ist ein Frühstück für mich übrig. Mein Sohn und ich nehmen uns gemütlich Zeit dafür.
Danach beschließt mein Sohn, dass jetzt die richtige Zeit ist zum Fernsehen.
Und ich nutze diesen Luxus, um in Ruhe in den Tag zu starten.
Ich habe mir Dinge eingepackt, die mir gut tun. Denn das es mir gut geht, ist elementar wichtig, wenn ich mein Kind durch den Krankenhausalltag begleite.
Mein Bett steht direkt neben einer großen, breiten Fensterbank, die zu meinem Lieblingsplatz in diesem Zimmer geworden ist. Ich nehme mir Zeit zum Schreiben, zum Lesen, zum Beten, zum Fühlen, zum Denken, zum Telefonieren, …
Mein Sohn freundet sich in der Zwischenzeit mit seinem neuen Bettnachbar an. Sie stellen fest, dass sie das gleiche Spiel gerne zocken und nutzen das gute W-LAN für ein Spiel gegeneinander.
Direkt gegenüber von unserem Fenster ist der Hubschrauberlandeplatz. Immer wieder können wir beobachten, wie ein Hubschrauber landet und startet.
Es ist faszinierend zuzuschauen. Und gleichzeitig bin ich dankbar, dass niemand, den ich kenne, so hierher transportiert wird.
Zum Mittagessen bekomme ich nichts. Mein Sohn teilt aber mit mir und freut sich auf die Aussicht, dass wir uns später noch etwas beim Kiosk kaufen.
Gestern hatten wir lieben Besuch mit viel leckerem Obst im Gepäck. Ich freue mich über die Heidelbeeren, die ich mit einem übrigen Joghurt vom Frühstück esse.
Die zwei Patienten aus meinem Zimmer bekommen von den Pflegekräften verordnet, sich ein wenig zu bewegen. Wie schön, dass ich sie alleine ziehen lassen kann.
Ich nutze die Zeit für eine Mittagspause. Mein Körper ist nach wie vor schwach. Schmerzen und Fatigue begleiten meine Tage. Auch hier im Krankenhaus nehme ich mir Zeit, auf meinen Körper zu hören und ihm -so gut es geht- zu geben was er braucht.
Am Nachmittag kommt Besuch. Mein Mann und meine anderen Kinder kommen zu uns. Ich freue mich, sie alle wieder zu sehen. Sie freuen sich, bei uns zu sein. Wir alle freuen uns, dass die Pflegekräfte beide Augen zudrücken und alle drei hier sein dürfen. Eigentlich sind nämlich nur zwei Besucher am Tag erlaubt.
Danach machen wir mit unseren Gästen einen Rundgang durch die wichtigen Plätze in der Klinik.
Ganz wichtig ist die Arche im Eingangsbereich. Ein toller Spielbereich für alle Kinder, die fit genug zum Toben sind.
Mein Mann und ich nutzen die Zeit für einen Kaffee zu zweit. Ein paar Sätze können wir in Ruhe wechseln. In mir sind heute viele Gefühle. Heute vor einem Jahr waren wir fünf auch schon alle zusammen in einem Krankenhaus. Damals um meinen Mann ein paar Tagen nach seinem Schlaganfall abzuholen. Heute wegen einem unserer Kinder. Der Sturm in unserem Leben scheint kein Ende zu nehmen.
Ich verabschiede meine Familie mit komischen Gefühlen. Es fällt mir schwer, meinen Mann und zwei meiner Kinder zu verabschieden. Wir wissen nicht, wie lange wir getrennt sein werden. Wir wissen nicht, was die nächsten Tage bringen wird. Gleichzeitig bin ich dankbar, dass ich bei unserem kranken Kind bleiben darf.
Unseren Abend verbringen wir ruhig. Der Besuch war schön. Gleichzeitig aber auch anstrengend. Mein Kind liest Comics. Ich mache mir noch einen Tee, wärme mein Dinkelkissen auf und nehme meinen Laptop, um diesen Artikel zu tippen.
Ich nehme mir noch einmal Zeit, um in mich einzuchecken. Wie geht es mir am Ende diesen Tages? Ich bin müde. Meine Muskeln schmerzen. Aber innerlich fühle ich mich ruhig. Ich fühle mich getragen. Weiß, dass viele Menschen an uns denken und für uns beten. Und das spüre ich.
Wie es die nächsten Tage weitergeht, weiß ich nicht. Aber ich entscheide mich zu vertrauen. Jeden Tag neu. Manchmal jede Minute. Ich lege das Leben und meine Lieben in Gottes Hände. Auch das jeden Tag.
Im Moment fühlt sich vieles schwer an. Im Außen. In mir. Aber ich entscheide mich für die Freude. Trotzdem.
Und diese Freude wünsche ich dir auch. Ganz egal, wie dein Alltag gerade aussieht.
Herzliche Grüße,
Judith
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Danke Judith, dass du uns auch an diesem speziellen Tag mitgenommen hast. Ich schaue mir so viel von dir ab – wie du dir Zeit für dich nimmst, wie du schwere Gefühle annimmst, wie du dich für Vertrauen entscheidest.
Ich wünsche deinen Sohn und alles Gute für die nächsten Krankenhaustage.
Wiebke
Liebe Judith, vielen, vielen Dank für diesen Einblick. Ich finde deine Art uns mitzunehmen so wertvoll und inspirierend und deine Schreibweise ein wahrhaftigen Talent.
Ich drücke die Daumen, dass ihr bald entlassen werdet und Dir sende ich weiterhin ganz viel Kraft.
Hallo Judith,
dein Beitrag hat mich sehr berührt und beim lesen gefesselt!
Ich hoffe sehr, dass sich der Sturm in eurerm Leben bald legt
und einem ruhigem Lüftchen weicht!
Alles Gute für dich und deinen Sohn!
Liebe Grüße
Sabine